Montag, 17. Dezember 2012

Der Homo Antioeconomicus

Die Wirtschaftstheorie geht davon aus, dass Menschen stets ökonomisch handeln. Das heißt auch, dass sie ihr Potential und ihre Ressourcen bestmöglich nutzen. Wer das nicht tut, schadet dem System und wird mit „Fördern und Fordern“ auf Linie gebracht.
Warum sollte man auch sein Potential nicht nutzen, es sei denn aus Faulheit, Bequemlichkeit oder Egosimus?

Die Antwort liegt tief in der menschlichen Natur. Ich möchte hier ein Beispiel bringen. Ein Kind lernt recht früh, Erwartungen zu erkennen, die an es gestellt werden. Und es übernimmt diese Erwartungen für sich selbst. Was passiert nun, wenn diese Erwartungen einander widersprechen? Zum Beispiel, wenn sich die Eltern trennen und ein Elternteil im Beisein des Kindes über den anderen herzieht. Das Kind kommt nun in einen Gewissens- und Loyalitätskonflikt. Widerspricht es, dann kommt es zu einem Konflikt mit dem anwesenden Elternteil. Gerade junge Kinder tun das nicht. Also wird geschwiegen und ausgewichen. Damit enttäuscht das Kind gefühlt die Erwartungen des anderen Elternteils, und was noch wichtiger ist, die eigenen Erwartungen. Je öfter sich das wiederholt, desto mehr wird es zu einem Muster. „Ich tue nichts. Ich scheue den Konflikt. Ich lasse die Gelegenheit, etwas zu tun ungenutzt verstreichen und enttäusche andere und mich selbst.“
Das Muster wird zu einem allgemeinen Lebensstil. Das Kind wird älter, es scheut Konflikte und verweigert Leistungen, die von ihm erwartet werden. Es erwartet, sich selbst und andere zu enttäuschen, egal, was es tut. Das Kind konzentriert sich auf die Dinge, die absolut notwendig sind, und auf die, die ihm gerade Spaß machen. Nichts dazwischen. Es arbeitet nicht auf Erfolge hin, sondern lernt zu scheitern oder durch pures Talent weiterzukommen. Es erklärt Erfolg und Misserfolg durch äußere Umstände, Glück und Pech. Die Schulnoten sind schlechter als nötig, das Studium wird, wenn es überhaupt begonnen wird, erfolglos abgebrochen.
Aus dem Kind wird ein Erwachsener, der noch immer Leistung verweigert und Erwartungen enttäuscht, vor allem die Erwartungen an sich selbst. Ein Meister der Ausreden, der immer an den Umständen scheitert und mit der Aufrechterhaltung dieser Lüge den Selbstenttäuschungen noch eine weitere hinzufügt.

Vielleicht passiert ein glücklicher Zufall und er findet einen Job, der ihn erfüllt, Spaß macht und mit ständigen Erfolgserlebnissen belohnt. Wenn sein Talent groß genug ist, um Episoden von Leistungsausfällen aufzufangen, dann geht das scheinbar gut und das Schema der Enttäuschung verlagert sich auf das Privatleben.
Vielleicht hat er dieses Glück nicht und landet da, wo Leute in unserer Gesellschaft landen, wenn sie keine „Leistungsträger“ sind, zwischen ALGII und Minijob.

Das Problem: Dieser Mensch ist nicht depressiv, er gilt als ruhig und psychisch stabil. Wenn er unter Gesellschaft kommt, hat er keine Probleme, sich zu integrieren. Er entwickelt vielleicht eine Bitterkeit, die er mit Sarkasmus und scharfen Humor kaschiert. Er selbst weiß nicht, was ihn zurück hält, warum er ist wie er ist.

Wie kann die Gesellschaft diesem Menschen helfen? Und wenn sie es nicht kann: Mit welchem Recht fordert sie Leistung von ihm ein?

Was ist, wenn ein beträchtlicher Teil der Menschen auf die ein oder andere Art dieses Schema der (Selbst-)Enttäuschungen praktiziert?

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